Fährt man auf der Hackenstraße von Rottau aus ins Moor, dann trifft man nach kurzer Strecke auf den Ortsteil "Filze", der in früheren Zeiten schon im "Einzugsbereich" der Moor-Aktivitäten des Bernauer Moorgefängnisses lag. Neben den heute noch vorhandenen Bedienstetenhäusern gab es hier auch noch eine Reihe von Wohnbaracken, die aber im Laufe der Zeit verschwanden. Und die Bewohner dieses Areals - das waren und sind die "Filzler".
Viele der Filzler arbeiteten in vergangenen Zeiten als Bedienstete des Gefängnisses und lebten mit ihren Großfamilien über Generationen hinweg am Rand des Moores. Von der sonstigen örtlichen Gesellschaft wurde diese Situation mehr oder minder misstrauisch beäugt. Arbeitsplätze und Rohstoffgewinnung ja, aber düsteres Moor mit Gefängnis eher nein: Solche Dinge sollten dann doch besser am Rande der örtlichen Gesellschaft bleiben.
Und so berichten eigentlich alle Filzler über Generationen hinweg von einer deutlich fühlbaren Ausgrenzung und Zurücksetzung durch die Restbevölkerung der näheren und weiteren Umgebung. Bei einer Befragung des hochbetagten Laumer Wast/Rottau, eines Zeitzeugen der Brenntorfgewinnung in den 1930er-Jahren in der Kendlmühlfilzen, empfing mich dieser mit den klarstellenden Worten: Er habe beim staatlichen Torfabbau für das Moorgefängnis gearbeitet, er sei aber kein Lump (= Gefangener) gewesen, sondern ein ordentlicher Angestellter des Gefängnisses. Für die heranwachsenden Jung-Filzler war das Moor als "NoGo-Area" für den Normalbürger der ideale und ungestörte Abenteuer-Freiraum. Sie konnten eine ganz unmittelbare Beziehung zur Natur entwickeln, von der die heutige Jugend nicht einmal mehr träumen kann, weil die heute angesagten virtuellen Welten bis auf Weiteres keinen Bedarf an irdischem Bezug mehr entstehen lassen bzw. heute der Naturschutz solche individuellen "Entfaltungen" nicht schätzt.
Welcher gesellschaftliche Wind vor noch nicht einmal 100 Jahren geweht hat, beschreibt der Laumer Wast/Rottau in seinen handschriftlichen Jugenderinnerungen, die er noch als 90-Jähriger zu Papier brachte.
Das Land Bayern besaß nun im Nordteil der Kendlmühlfilzen eine größere Moorfläche inkl. Infrastruktur für die Torfgewinnung und war damit genötigt, durch die Gewinnung von Einstreu und Brenntorf hieraus auch einen wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen.
Der letzte Akt der Moornutzung begann in den 1970er-Jahren mit der Verpachtung von ca. 2 km² Moorfläche im Nordwestteil der Kendlmühlfilzen durch den Bayerischen Staat an die Fa. Samen-Maier. Ziel war die Gewinnung von oberflächlichem Fasertorf per Fräsverfahren für die Herstellung von Garten-Substraten (vulgo: Blumenerde). Allerdings wurden von dieser Fläche nur ca. 0,3 km² bis zur Unternaturschutzstellung bearbeitet (etwas weniger als 5% der Gesamtfläche der Kendlmühlfilzen.)
Die Fa. Samen-Maier aus Bodenkirchen bei Landshut war eine der größten deutschen Firmen in Sachen Saatguterzeugung und Blumenzwiebelzucht. Die Ergänzung des Lieferprogramms in Richtung Pflanzsubstratherstellung bot sich damit an. Der geplante Torfabbau sollte über einige Jahrzehnte hinweg erfolgen. Mit dieser Tätigkeit waren immerhin diverse Arbeitsplätze in der Region verknüpft.
Inhaber der Firma war Hans Maier, ein niederbayerischer Lokalpolitiker, schwarz wie Brenntorf.
Der oberflächennahe und damit vorgetrocknete Torf wurde in dünnen Schichten im Fräsverfahren vom Moorboden abgenommen und in Form großer Haufen zwischengelagert. Zur Aufbereitung des Gartensubstrats wurden Mineralien, Kalk und Dünger zugegeben, ähnlich wie bei der landwirtschaftlichen Moorkultivierung. Diese Aufbereitung des Torfs erfolgte zuletzt im Torfbahnhof. Dieser war damit zu einer Produktionsstätte für gärtnerische Torfprodukte umfunktioniert worden, die Ware wurde per LKW abtransportiert.
Nun hatte sich aber in den 1970er-Jahren die wirtschaftliche Situation in Deutschland Richtung Wohlstandsgesellschaft entwickelt, sodass man immer weniger auf die Wertschöpfung durch heimische Ressourcennutzung und die damit verbundenen Arbeitsplätze angewiesen war.
Zuletzt setzte sich dieser Zeitgeist auch bis in die Bayerische Staatsregierung durch und die Rottauer-, Hacken- und Kendlmühlfilzen als Reste des ehemaligen Chiemseemoores wurden flächendeckend in den 1990er-Jahren unter Naturschutz gestellt, u.a. auch die Flächen in Privatbesitz, was hier auf wenig Gegenliebe stieß.
Aber die Zeiten einer rentablen Nutzung von Klein- und Kleinstmooren im Voralpenland waren Ende der 1980er-Jahre aus weltpolitischen Gründen ohnehin gezählt: Es fiel der "Eiserne Vorhang".
Hans Maier engagierte sich bereits 1990 in Sachen deutsch-russischer Beziehungen, was zur Einrichtung einer Regionenfreundschaft zwischen dem Landkreis Landshut und dem Rayon Nowosibirsk führte. In der russischen Taiga mit ihren ausgedehnten Moorflächen finden sich sehr große Torfmengen. Naheliegenderweise reifte der Gedanke bei allen Beteiligten, diesen Torf für die Substrat-Herstellung im fernen Bayern zu nutzen. Ehemalige Mitarbeiter der Fa. Samen-Maier berichten über diverse LKW-Lieferungen von Torf aus Russland an den Torfbahnhof/Rottau. Der Zusammenbruch der Sowjetunion verhinderte aber letztlich eine Intensivierung des Projekts. Heute wird Torf für die deutsche Pflanzsubstrat-Industrie vor allem aus dem Baltikum geliefert.
In den Chiemseemooren schloß sich der Kreis.
Die Fa. Samen-Maier / Bodenkirchen ging in den 1990er-Jahren nach dem Tod von Hans Maier in Konkurs. Einige Mitarbeiter der Firma gründeten eigene Unternehmungen (z.B. Fa. Terratop Hobmaier) u.a. auch zum Thema Landschaftsbau und Renaturierung, deren heutige Spezialität u.a. die Wiedervernässung ehemaliger Moore ist. Aus der letzten Periode der Moornutzung gibt es noch diverse Zeitzeugen, so z.B. Kurt Heinfling, der in der Filzen aufwuchs und bei der Fa. Samen-Maier arbeitete. Die Familie Heinfling lebt seit Jahrzehnten in der Nähe des Torfbahnhofs im Moor.
Auf Nachfrage werden hier auch Moorführungen angeboten, die einen tieferen Einblick zum Thema Moor vermitteln. U.a. bekommt man am Torfstich einen Eindruck von den Plagen und Mühen unserer Altvorderen, die sich hier Einstreu fürs Vieh und Brennmaterial besorgen mussten. Mit einem Moorbohrer werden Moorproben aus mehreren Metern Tiefe genommen und man kann über 5000 Jahre alte Pflanzenreste sowie den nacheiszeitlichen Untergrund des südlichen Chiemgaus staunen.